Dienstag, 14. September 2010

Review: Sinking Island


Sinking Island - Mord im Paradies ist ein Point & Click-Krimi-Adventure von White Birds Productions aus dem Jahr 2007.
Sowohl bei der Story als auch der Grafik hatte Benoît Sokal, Schöpfer von Amerzone, Syberia I und II sowie Paradise die Finger im Spiel.

In Sinking Island übernimmt man die Rolle des Ermittler Jack Norm. Er wird auf die maledivische Insel Sagorah geschickt, um die Umstände des Todes des Milliardärs Walter Jones zu untersuchen.

Ganz nett anzusehen, zumindest was die Filmszenen betrifft.

Der Spielaufbau an sich ist ganz interessant: der Fall wird als Puzzle präsentiert, dessen einzelne Teile Jack der Reihe nach aufdeckt, indem er die Lösungen zu bestimmten Fragen findet, wie zB: Kam Walter Jones durch ein Unfall ums Leben?

Um eine Frage zu beantworten, benutzt er seinen PPA (Personal Police Assistant), mit dem er die gefundenen Informationen verwalten kann.
Hierzu gehören Zeugenaussagen, Beweisstücke, Dokumente, Spuren, Fingerabdrücke, Fotos usw. Manche Spuren lassen sich durch einen Vergleich mit anderen zu einem Beweisstück zusammenfügen, zB Fingerabdrücke an einem Gegenstand mit solchen, die man von Verdächtigen genommen hat.
Wenn man ausreichend Beweise gesammelt hat, kombiniert man diese, um die offene Frage zu beantworten und somit das Puzzleteil zu lösen.


Der Handlungsverlauf der Geschichte spannt sich über drei Tage, wobei jeden Tag 5 Fragen zu lösen sind - nach dem 15. gelösten Rätsel hat mal das Ende des Spiels erreicht.
Zu Beginn kann man außerdem entscheiden, ob man im normalen Adventure-Modus oder mit Zeitlimit spielt.

Jack Norm findet schnell heraus, dass es sich natürlich nicht um einen Unfall, sondern um Mord gehandelt hat.
Der Held verbringt die nächsten drei Tage also damit, durch die hübsch gerenderten Hintergrundbilder zu laufen und zu ermitteln, während ein wildes Unwetter tobt und der monumentale Hotelturm, den der größenwahnsinnige Milliardär sich gebaut hat, drauf und dran ist, samt Insel im Meer zu versinken - was den Titel des Spiels irgendwie erklärt ;-)

Zum Glück gibt es gerademal zehn Personen auf der Insel, was den Kreis der Mordverdächtigen natürlich einschränkt.


Gesteuert wird ausschließlich via Maus - dies funktionierte auch problemlos.
Während die in-game Steuerung sehr intuitiv ist, fand ich die Menüstruktur allerdings ein wenig umständlich. Bei anderen Spielen landet man nach dem Speichern meist entweder wieder direkt im Spiel oder kann zwischen Weiterspielen und Beenden wählen - hier muss man erst umständlich von Speichern (unten Mitte) auf Zurück (ganz unten links) und dann auf Fortsetzen (oben Mitte) klicken.

Die Szenen, durch die Jack hindurchläuft, sind vorgerendert, Jack selbst ist eine 3D-Figur.
Während der Verhöre sieht man die dreidimensionalen Köpfe der beteiligten Personen in Nahaufnahme.
Wenn man den PPA verwendet, nimmt dieser den ganzen Bildschirm ein. Er ist relativ einfach gestaltet und obwohl sich im Lauf der Zeit eine Menge Informationen darin ansammeln, bleibt er bis zum Schluss übersichtlich.


Die Story ist durchaus spannend, denn jeder hat ein Motiv: es gibt einen windigen Anwalt, einen besorgten Architekten, zwei Einheimische, drei Enkelkinder, die möglicherweise etwas erben oder auch nicht und deren Partner/innen.
Dieser Clan hat einige Leichen im Keller und es wird gelogen, was das Zeug hält. So manche Wendung im Spiel hätte ich nicht vorhergesehen.

Womit wir eigentlich schon beim wichtigsten Aspekt des Spiels wären, denn geschätzte 50% der Zeit verbringt Jack damit, Leute zu verhören.
Etwa 35% der Zeit benötigt er, um von A nach B zu laufen, die restlichen 15% gehen für Gegenstände einsammeln und kombinieren, Spuren vergleichen, Dokumente lesen usw drauf.

Die Verhöre sind der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Spiels - umso wichtiger ist die Sprachausgabe. Und naja... da hakt es schon mal ordentlich.
Die Sprecher/innen sind professionell, keine Frage, aaaber...


Zum einen sind die Dialoge zwischen Jack und den Verdächtigen alles andere als lippensynchron. Da die Gespräche die Hälfte der Spielzeit einnehmen und außerdem noch in Großaufnahme gezeigt werden, KANN man das nicht übersehen. Da hätte man sich schon etwas mehr Mühe geben müssen.

Und man merkt ein bisschen gar zu sehr, dass die immer gleichen Sprachaufnahmen recycelt wurden: Jack stellt den 10 verschiedenen Personen die exakt gleichen Fragen, immer im gleichen Wortlaut und gleichen Tonfall - das langweilt dann schon ein bisschen.
Da kann es dann auch mal vorkommen, dass Frage und Antwort nicht ganz zusammenpassen. So spricht er mit Baina schon mal über "die Hochzeit von Baina" anstatt über "Ihre Hochzeit".
Das Highlight war aber definitiv, als ein Verdächtiger den Schuss auf das Opfer erwähnte. Blöd nur, dass ich ihm erst im nächsten Satz das Autopsieergebnis mitteilte, welches ganz überraschend eine Kugel als Todesursache feststellte.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Jack seine Verdächtigen vor einer anwesenden dritten Person über selbige befragt.
Oder er steht direkt neben dem Anwalt, während er seinen Chef anruft, um diesem mitzuteilen, dass der Anwalt Dreck am Stecken hat und zu seinen Verdächtigen zählt.
Ich ging eigentlich immer davon aus, dass Polizeiarbeit ein wenig diskreter abläuft ;-)


Negativ aufgefallen sind mir auch die Telefonate mit seiner Frau. Während Telefongespräche mit anderen Personen durchaus so klangen, als wären diese am anderen Ende einer Telefonleitung, klang seine Frau so, als stünde sie im Raum - man hörte sie dabei jedoch nur am Anfang und Ende des Gesprächs, dazwischen unterhielt sie sich zwar offenbar mit Jack, dies konnte man jedoch nicht hören - und überhaupt: was ist das für eine Ehefrau, die ihren Mann anmotzt, weil er sie im Restaurant warten lässt, während er gerade dabei ist, samt Insel im Meer abzusaufen?

Die Fragen, die Jack stellen konnte, waren nicht immer die, die ich gerne gestellt hätte - so hieß es zu einer Maschine auf der Spitze des Turms, ich solle Lorenzo dazu befragen - schade nur, dass es diese Option gar nicht gab.
Auch aus dem Kratzer auf dem Gesicht einer der Anwesenden wurde ich nicht schlau - ich hätte zu gern gewusst, wo er herkommt. Immerhin hätte das auf einen Kampf hindeuten können, aber der Kratzer wurde das ganze Spiel hindurch konsequent ignoriert.

Mit dem Lippenstift ausgerutscht?

Andrerseits stellt Jack Fragen, die einfach keinen Sinn machen - ist es
wirklich nötig, alle Verdächtigen zu fragen, ob sie medizinische Kenntnisse haben, um ihm bei der Feststellung der Todesursache zu helfen? Oder ob sie ihm den Bericht des Forensikers erklären können?

Das Positive an den Verhören ist jedoch, dass man die Fragen abbrechen kann - anders wäre die ewig gleiche Fragerei auf Dauer nicht auszuhalten.
Leider gilt das aber nur für die Verhöre - wenn man Verdächtige anspricht, es jedoch keine aktuellen Fragen gibt, die man stellen kann, muss man jedesmal durch Jacks "Ich muss Ihnen zwei oder drei Fragen stellen... verzeihen Sie, ich bin abgelenkt. Ich habe was ich brauche, bis später." - Und das oft bei allen 10 Verdächtigen, bis man eine neue Spur findet und wieder alle 10 abklappert, in der Hoffnung, dass nun einer etwas neues dazu zu sagen weiß.


Womit wir beim nächsten Schwachpunkt wären: das abklappern. Man verbringt viel zu viel Zeit damit, einfach nur rumzulaufen, mit dem Lift rauf und runter zu fahren und zahllose Szenen zu durchqueren, um von A nach B zu kommen - durch Hintergründe, die zwar wunderschön, aber leer sind, und deren einziger Zweck es ist, die Distanz zwischen A und B zu erhöhen.
Immerhin zeigt der PPA den Standort aller Personen an, sodass man beim Herumlaufen wenigstens weiß, wo man eigentlich hin muss.

Hinzu kommt, dass Benoît Sokal zwar wirklich traumhaft schöne Bilder zeichnen kann, bei Sinking Island sein volles Potential aber leider nicht ausgeschöpft hat. Ich finde ja, dass er ein besonders Händchen für phantasievollen Landschaften, wundersame Maschinen und originelle Fabeltiere hat - all das gibt es in diesem Spiel jedoch so gut wie gar nicht.
Die Ansichten der Insel sind zwar schön, der Wind und Regen vermitteln sehr stimmig das tobende Unwetter... aber letzten Endes machen die Inselbilder nur einen kleinen Teil aus. Der größte Teil der Handlung spielt im Hotel, welches zwar auch ganz phantastisch aussieht und detailreich gerendert ist, aber teilweise nur Variationen derselben Bilder zeigt: Hotelflure, Suiten, Treppenhaus, diverse Varianten der Hotel-Lounge - und fast alles in dezentem grau-braun-dunkel-düster.

Deja-vu?

Obwohl die Bilder bis auf schaukelnde Palmen, Regen oder ein bisschen Dampf ziemlich statisch waren, wurde das Spiel extrem langsam, sobald Jack mit mehr als einer Person im Raum war - und zwar so extrem, dass ich die Einstellungen auf das Minimum zurückfahren musste, um überhaupt weiterspielen zu können.
Mein Laptop ist zwar nicht der schnellste, aber bei einem Spiel mit vorgerenderten Hintergrundbildern und relativ kleinen 3D-Figürchen hat mich das doch ziemlich überrascht.

Was den Schattenwurf betrifft, kam der in der Minimum-Einstellung allerdings sowieso besser rüber - es war nur ein dunkler Kreis unter Jack, aber wenigstens fiel er nicht in Richtung einer gerenderten Lampe oder gar auf diese drauf.

Besonders negativ fielen mir - auch auf Maximum Grafik - die Frisuren der Personen auf, aus denen irgendwelche seltsamen Zacken herausragten. Bei einem Spiel aus dem Jahr 2007 sollte so etwas wirklich nicht sein, schon gar nicht, wenn man die Hälfte des Spiels damit verbringen muss, den Leuten aus nächster Nähe auf die Köpfe zu starren.

Bad Hair Day?

Was Bugs betrifft: ja, die gibt es auch.
So blieb einmal während einer Zwischensequenz plötzlich alles stehen - ich konnte nicht mal laden, sondern musste das Spiel ungespeichert killen.
Ein anderes mal lief Jack nach einem Verhör plötzlich durch die Wand aus dem Bild raus und tauchte nicht wieder auf - auch hier war Laden nicht möglich.
Das Triggern der Rätsellösungen war ebenfalls nicht optimal. Da man sich relativ frei bewegen kann, stößt man mitunter auf Beweise oder Spuren, die zu einer später zu lösenden Frage gehören - was bei mir dazu führte, dass Jack zuerst einmal feststellte, von wo der tödliche Schuss mit dem Gewehr abgefeuert wurde, als nächstes, dass die Tatwaffe ein Gewehr war und zuletzt, dass das Opfer nicht durch den Sturz starb, sondern erschossen wurde.

Als kleines Detail am Rande sind noch diverse Unstimmigkeiten zwischen Spiel und Handbuch zu nennen.
So beinhaltet der PPA laut Beschreibung des Handbuchs eine Verdächtigendatei, einen Indizien-Manager und den Punkt Fortschreiten. Im Spiel heißen die Punkte jedoch Personendatenbank, Hinweisdatenbank und Ermittlungsstand.
Auch scheint der PPA zumindest teilweise Probleme mit Umlauten zu haben (Ratsel gelost) und vereinzelt auch mal auf englische Begriffe zurückzugreifen.
Da hätte man schon ein bisschen besser aufpassen können.

Übersichtlichkeit: 10 Punkte

Auch aus einer Angabe des Covers werde ich nicht ganz schlau: Kinoreife Zwischensequenzen.
Das stimmt nicht - Intro und Abspann sind von mir aus kinoreif und durchaus spektakulär, die Zwischensequenzen sind es aber definitiv nicht, die unterscheiden sich graphisch keinen Deut vom Rest des Spiels.

Die Atmosphäre ist meiner Meinung nach nicht so packend, wie sie hätte sein können, das stupide Rumrennen und Verdächtige-Abklappern verhindert, dass man sich ernsthaft in das Spiel vertiefen kann.


Obwohl man sich mit einem Mörder auf einer Insel befindet, die man nicht verlassen kann, weil draußen ein Unwetter tobt, obwohl man in einem Turm eingesperrt ist, der gerade im Meer versinkt, sofern er nicht vorher auseinanderbricht, kommt einfach keine Hilfe-wir-werden-alle-sterben-Stimmung auf.
Ein wenig Angst vor dem unbekannten Täter und ein bisschen mehr Panik hinsichtlich des steigenden Wassers und des auseinanderfallenden Turms wären da schon angebracht gewesen.
Angst vor dem Täter gab es gar nicht, weder bei Jack noch bei den anderen und das steigenden Wasser bekam man nur in zwei Szenenbildern mit. Lediglich die Instabilität des Turms wurde durch ein paar große Risse und abgefallene Mauerteile angedeutet. Hier wäre sicherlich mehr möglich gewesen - langsam, aber stetig steigender Wasserspiegel in den unteren Stockwerken, dynamischere Riss-Entwicklung und ein paar "live" herabfallende Trümmer hätten das ganze spannender gemacht. Schade, dass nicht mehr in diese Richtung gemacht wurde.

Was den Charakter des Hauptdarstellers betrifft: Jack Norm wirkt zwar irgendwie sympathisch, aber er hat Null Persönlichkeit - es ist nicht leicht, sich mit ihm zu identifizieren oder mit ihm mitzufiebern. Da ist aber auch gar nichts besonderes an ihm; dass er mit allen Leuten in gleicher Art und Weise über das gleiche spricht, verstärkt diesen Eindruck der Undifferenziertheit nur noch.

Neben der qualitativ sehr guten, wenn auch teilweise schlecht eingesetzten Sprachausgabe gab es ebenfalls sehr gute Hintergrundgeräusche - tobender Sturm auf der Insel, Knarzen und Knarren im Hotel - und eine sehr dezente, aber passende Musikuntermalung.


Trotzdem geht durch die immer gleichen Gespräche und das ständige Hin- und Herlaufen der
Spielspaß bald flöten - Sinking Island wird trotz tollem Konzept, interessanter Story und wunderschöner Bilder bald langweilig.
Schade, das Spiel hätte so viel Potential gehabt.

Nach Paradise, Sokals vorigem Werk, dachte ich, es kann nur bergauf gehen - aber meiner Meinung nach, schneidet Sinking Island sogar schlechter ab als Paradise, obwohl letzteres inkonsistenter ist.

Da ich das Spiel gebraucht um 1 Euro gekauft habe kann ich trotzdem guten Gewissens sagen, dass es sein Geld wert war. Naja, es wäre auch ein paar Euro mehr wert gewesen, wenn man auf Sokal steht :-)

Dank Sokal-Bonus bekommt Sinking Island von mir 5 von 10 Punkten.